Crash an den Aktienmärkten?

Harmssen sagt...

25. Januar, 2022

Bekanntlich sind Börsen keine Einbahnstraße. Die Gültigkeit dieser Binsenweisheit erleben wir aktuell an den Aktienmärkten, nachdem diese Jahr für Jahr scheinbar immer nur noch bergauf liefen.

Am vergangenen Freitag wurden an den US-Terminmärkten so viele Put-Optionen (spekulative Papiere, die auf fallende Kurse setzen) wie noch nie gekauft.

Dieser Januar ist schon jetzt der schlechteste Monat an der NASDAQ seit Bestehen des Index.

Und auch heute (24. Jan.) geht es weiter steil bergab…

Was ist passiert?

Das Hauptthema, mit dem sich Börsianer beschäftigen, sind die stark gestiegenen Inflationsraten. Allgemein wird nun befürchtet, dass die US-Zentralbank FED die Zinsen relativ schnell in bis zu 5 Schritten in diesem Jahr erhöhen wird, um die Inflation zu bekämpfen.

Warum denken Aktieninvestoren, dass steigende Zinsen Gift für Aktien sind? 

Bislang galt die Parole ‚TINA‘ (There is no alternative) – es gibt keine Alternative zu Aktien. Bei steigenden Zinsen steigt die Attraktivität von Zinspapieren wie Anleihen.

Wachstumsunternehmen sind besonders von steigenden Zinsen betroffen: zum einen sind sie gewöhnlich höher als andere Unternehmen mit Fremdkapital finanziert; zum anderen sind künftige Gewinne (Börsen handeln Erwartungen) heute weniger wert, weil sie mit einem höheren Zins auf den heutigen Barwert diskontiert werden müssen.
Kein Wunder also, dass insbesondere Wachstumswerte aus der 2. und 3. Reihe besonders unter die Räder gekommen sind (So hat z. B. Zoom – ein Anbieter von Software für Video-Konferenzen und ein Liebling von Anlegern in den vergangegen Monaten vom Höchstkurs bis heute bereits ca. 75% an Wert verloren).

Reflexhaft wird nun in Panik verkauft – zusätzlich generieren computergesteuerte Algorithmen bei Erreichen bestimmter Kurse weitere Verkaufssignale, so dass der Sell Off sich verstärkt.

Unsere Meinung:

Ja, die US-Zentralbank wird die Zinsen erhöhen. Wir glauben allerdings, dass das Ausmaß der Befürchtungen hinsichtlich der weiteren Entwicklungen der Inflationsraten übertrieben ist. Wer einschätzen möchte, wie sich Inflationsraten in Zukunft entwickeln, muss sich über die Ursachen der aktuellen Inflation Gedanken machen; nur so kann beurteilt werden, ob Infationsdruck zu – oder abnehmen wird.

Ein Teil gestiegener Inflation ist auf sogenannte Basiseffekte zurückzuführen. Wenn in 2020 bestimmte Waren besonders günstig geworden sind (der Corona Crash hat die Nachfrage nach vielen Produkten einbrechen lassen und für stark sinkende Preise gesorgt), die Preise dieser Waren sich in 2021 aufgrund wieder steigender Nachfrage ’normalisieren‘ und entsprechend stark ansteigen, bedeutet dies rechnerisch Inflation. Kein Wunder also, dass im Verlauf des Jahres 2021 drastische Steigerungen von Inflationsraten gemeldet wurden.   
Die Entwicklungen der Preise von Waren und Dienstleistungen in 2022 muss sich nun allerdings mit den entsprechenden Preisen von 2021 (!) vergleichen. (Sondereffekte in Deutschland: die Absenkung der MwSt. aus dem Jahr 2021 wurde in 2022 wieder aufgehoben – allein aus dieser Quelle stammen also 3% ‚Inflation‘ – preistreibend wirkt sich zudem in Deutschland die Einführung der Co2 – Steuer aus). 

Störungen der Lieferketten führen im ‚Angebots-Nachfrage-Spiel‘ zu einer Verknappung des Angebots. Bei gleich hoch bleibender Nachfrage führt dies zu steigenden Preisen.
Ursachen der Probleme in den Lieferketten: Lockdowns haben zu massiven Produktionsausfällen geführt; als gewaltiges Nadelöhr erweisen sich schließlich viele Häfen – vor allem die an der chinesischen Küste und der amerikanischen Westküste, zwischen denen die riesigen Handelsströme zwischen den beiden größten Volkswirtschaften abgewickelt werden.
In China wurden immer wieder Häfen ganz oder teilweise geschlossen, weil Hafenarbeiter coronainfiziert waren. Noch heute müssen Schiffe lange auf das Be- und Entladen warten oder auf andere Häfen ausweichen, vor denen sich dann ebenfalls große Staus bilden. Der Ökonom Vincent Stamer, der beim Kiel Institut für Weltwirtschaft regelmäßig weltweite Schiffsbewegungen analysiert, schätzt, dass derzeit mehr als 11 Prozent der weltweit verschifften Güter auf Schiffen parkt, die in einer Schlange wartender Schiffe auf Entladung warten – eine gewaltige Menge, bedenkt man, dass ca. 90 % der globalen Warenströme per Containerschiff transportiert werden. Und schließlich: Die etliche Tage andauernde Havarie der ‚Ever Given‘ im Suez-Kanal, die zu einem gewaltigen Stau von Schiffen an beiden Enden des Kanals führte, wirkt auch heute noch nach.

Bleiben wir kurz im ‚Angebots-Nachfrage-Spiel‘: in der tiefsten Corona Krise hat die US-Regierung massenhaft Schecks an die Bevölkerung verteilt. Abzulesen ist das gut an der Geldmenge M2 in den USA, die quasi explosionsartig dadurch um 20% angestiegen ist. Das dadurch der private Konsum erheblich stimuliert wurde, liegt auf der Hand und führte zu steigender Nachfrage. 

Unsere Schlussfolgerungen:

Der Inflationsdruck wird langsam nachlassen. Basiseffekte werden in 2022 weniger bedeutend, die Probleme in den Lieferketten werden sich langsam abbauen und die fiskalpolitischen Maßnahmen der verschiedenen Regierungen zur Unterstützung der Bevölkerung werden auslaufen.

Der US-Zentralbank wird klar sein, dass sie mit steigenden Zinsen die oben genannten Ursachen von Inflation nicht bekämpfen kann; mit steigenden Zinsen kann sie lediglich dafür sorgen, dass z. B. Konsumentenkredite und Immobilienkredite in der Zukunft teurer werden. Daher rechnen wir in diesem Jahr allenfalls mit 3 moderaten Zinsschritten.

Wenn diese Einschätzung richtig ist und der Präsident der US Zentralbank Powell schon in dieser Woche sich entsprechend äußern wird, dürfte der Abverkauf an den Aktienbörsen stoppen und eine Gegenbewegung einsetzen. 

Ein großes Risiko für die Aktienmärkte bleibt dennoch im Hintergrund wirksam: Der Russland-Ukraine-Konflikt. Sollte sich dieser Konflikt weiter nachhaltig verschärfen, sind obige Überlegungen Makulatur.

Hoffen wir also, dass die Diplomatie im Hintergrund zu einer Lösung dieses Konfliktes führen wird!

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Feedback
Alle Kommentare

Vertrauen ist Mut, und Treue ist Kraft.

Marie von Ebner-Eschenbach